Page 96 - Einkaufsführer für den Straßenbau Deutschland
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Rechtsprechung zur Verkehrssicherungspflicht entlang öffentlicher Straßen im Wald

         Die Abgrenzung, wann für die Sicherheit der Waldrandbäume an öffentlichen Straßen die Straßen-
         verkehrsbehörde  und wann der Waldbesitzer  zuständig  ist, hat der  BGH in einigen  Urteilen vorge-
         nommen, denen jedes Mal eine andere Fallgestaltung zu Grunde lag. Auf diese Unterschiede ist stets
         zu achten, ehe die Grundsätze der getroffenen Entscheidungen übertragen werden können. Für sich
         genommen könnten die einzelnen Urteile des BGH und die übrigen Gerichte zu einer widersprüchlichen
         Auslegung der Verkehrssicherungspflicht führen. Vor allem lesen sie sich zunächst so, als obliege die
         Verkehrssicherungspflicht für Wald entlang öffentlicher Straßen grundsätzlich dem Waldeigentümer und
         nicht der Straßenbaubehörde wie beispielsweise das Urteil des BGH vom 19. Januar 1989. Hier ging es
         um Schäden, die durch einen Baum entstanden waren, der aus einem an die Straße grenzenden Wald-
         stück auf einen vorbeifahrenden Pkw gestürzt war. Der BGH hat hier festgestellt, dass den Straßen-
         verkehrssicherungspflichtigen keine Pflichtverletzung traf, weil dieser nur für den gefahrfreien Zustand
         der Straße hafte. Der Baum gehörte nach Ansicht des BGH hier nicht zur Straße, weil er „innerhalb
         eines geschlossenen Waldstücks“ stand. „Er stand zwar am Rand dieses Waldstücks, trat aber in keiner
         Weise hervor, weil er keine Eigentümlichkeiten aufwies, die ihn vom Waldsaum abhoben und äußerlich
         der Straße zuordneten. Unter diesen Umständen kann nicht angenommen werden, dass ein Baum von
         der allgemeinen Verkehrsauffassung der Straße zugeordnet wird. Die Verkehrssicherungspflicht erstreckt
         sich auf ihn so lange nicht, als er unauffällig im Wald steht.“ Der BGH stellte den Straßenverkehrs-
         sicherungspflichtigen frei. Hier haftete der Waldeigentümer.
         In einem späteren Urteil vom 1. Juli 1993 hat der BGH dann den Straßenverkehrssicherungspflichtigen
         für einen Baum an der Straße haftbar gemacht, der bei Sturm umgestürzt war und eine Garage beschä-
         digt hatte. Der BGH stellte ausdrücklich klar, dass es sich hier um einen Baum handelte, der als Zubehör
         der Straße anzusehen war. Darauf ist auch dann abzustellen, wenn Straßen durch Waldgebiete führen:
         Ist der umgestürzte Baum dem Wald zuzuordnen oder der Straße? Je nachdem ist in erster Linie der
         Waldeigentümer oder die Straßenbaubehörde verantwortlich.

         Zuweilen stellte sich früher die Frage, ob den Waldeigentümer die erhöhten Verkehrssicherungspflichten
         gegenüber der Straße auch dann treffen, wenn der Bestand älter als die Straße ist, die Straße also durch
         seinen ehemals geschlossenen Bestand gelegt wurde. Heute wird jedoch in der Rechtsprechung zur
         Verkehrssicherungspflicht für Waldbäume nicht mehr unterschieden, ob die Straße durch einen bereits
         vorhandenen  Wald gebaut wurde oder ob der  Wald nach dem Bau der Straße angelegt wurde.



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