Page 100 - Einkaufsführer für den Straßenbau Deutschland
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§ 1004 BGB gibt dem (Straßen)Eigentümer, dessen Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung
oder Vorenthaltung des Besitzes – hier durch ausbrechende Äste aus dem angrenzenden Waldgrund-
stück – gestört wird, grundsätzlich einen Beseitigungsanspruch. Die Straßenverkehrsbehörde kann im Fall
der Störung die Beseitigung der betreffenden Äste verlangen, muss allerdings wegen ihrer vorrangigen
Verkehrssicherungspflicht selbst tätig werden. Zu diesem Zeitpunkt ist es in der Regel noch nicht zu einem
Schaden gekommen. Voraussetzung des Beseitigungsanspruchs und daraus folgenden Kostenerstattungs-
anspruchs ist allerdings, dass hier der Waldeigentümer tatsächlich „Störer“ im Sinn des § 1004 BGB ist,
was in jedem einzelnen Fall zu prüfen ist.
Die Rechtsprechung des BGH zur Störereigenschaft des Baumeigentümers ist an den Leitsätzen zweier
wichtiger Urteile zu messen. In einem Urteil vom 1. 7. 1993 hat der BGH entschieden: „Pflanzt oder
unterhält der Eigentümer auf seinem Grundstück einen Baum und stürzt dieser infolge eines ungewöhn-
lich heftigen Sturms auf das Nachbargrundstück, so sind die damit verbundenen Beeinträchtigungen dem
Eigentümer regelmäßig dann nicht als Störer i. S. des § 1004 I BGB zuzurechnen, wenn der Baum ge-
genüber normalen Einwirkungen der Naturkräfte hinreichend widerstandsfähig gewesen ist.“ In seinem
missverstandenen Pappelurteil vom 21. 3. 2003 hat der BGH festgestellt: „Unterhält der Eigentümer auf
seinem Grundstück einen Baum, der allein infolge seines Alters auf das Nachbargrundstück stürzen kann,
so ist er Störer im Sinn des § 1004 Abs. 1 BGB.“ Die letzte Entscheidung sorgte unter den verkehrssiche-
rungspflichtigen Baumeigentümern, vor allem bei Kommunen und im Forst, für erhebliche Unruhe. Das
rechtlich nicht angreifbare Urteil des BGH vom 23. 4. 2003 basiert allerdings auf fachlich unzutreffenden
Vorgaben zum Alter von Pappeln und gab damit Anlass zu Missverständnissen in Bezug auf den Umfang
der Verkehrssicherungspflicht vor allem für Pappeln und generell für alte Bäume.
In seinem Urteil vom 23. 4. 1993 war der BGH bei der Prüfung der Störereigenschaft zu dem Ergeb-
nis gekommen, dass die bloße Stellung als Eigentümer des Grundstücks dafür nicht ausreiche. Die
Beeinträchtigung müsse vielmehr wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers zurückgehen.
„Durch Naturereignisse ausgelöste Beeinträchtigungen sind ihm allenfalls dann als Störer zuzurechnen,
wenn er sie durch eigene Handlungen ermöglicht hat oder wenn sie durch ein pflichtwidriges Unterlassen
herbeigeführt worden sind.“
Auf den Schneebruch übertragen, bedeutet dies, dass dem Waldbesitzer diese durch Naturereignisse aus-
gelöste Beeinträchtigung des Straßengrundstücks nicht als Störer zuzurechnen ist, da er den Schneebruch
weder durch eigene Handlungen ermöglicht noch durch ein pflichtwidriges Unterlassen herbeigeführt hat.
ESD
2019