Page 90 - Einkaufsführer für den Straßenbau Deutschland
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Damit werden schon bei jeder möglichen Gefahr und bei einem bloßen Gefahrenverdacht – die dann nach
         Ansicht des Gerichts grundsätzlich bei Schäden am Baum gegeben sind – die gleichen Anforderungen ge-
         stellt wie bei unmittelbar drohender Gefahr, nämlich unverzügliches Handeln. Das kann nicht richtig sein.
         Eine fachlich zutreffende Beurteilung der Verkehrssicherheit führt vielmehr zu abgestuften Maßnahmen,
         und zwar auch zu zeitlich abgestuften Maßnahmen.


         Jeder Schaden am Baum eine Gefahr mit Haftungsfolgen?
         Der Baumkontrolleur hatte nach Angaben des Gerichts bei der turnusmäßigen Überprüfung des streit-
         gegenständlichen Baumes Pilzfruchtkörper und Fäule festgestellt. Da der Baumkontrolleur nicht ab-
         schließend beurteilen konnte, wieweit bereits eine Gefahr gegeben war, ordnete er eine eingehende
         Untersuchung mit dem Resistographen an. Daraus folgert das Gericht: „Es lag also bereits zum Zeitpunkt
         der Kontrolluntersuchungen am 8. September 2008 für den Sachbearbeiter des Beklagten erkennbar im
         Bereich des Möglichen, dass eine Gefährdung für den Baum ausging. Dann aber hätte der Sachbearbeiter
         des Beklagten unverzüglich den Baum abstützen oder gar fällen lassen müssen. Denn von Bäumen geht
         eine Gefährdung von Leib, Leben und hohen Sachwerten aus.“ Die Rechtsprechung wird wie hier das
         LG Berlin nicht müde, auf die Gefahren durch Bäume hinzuweisen. Es geht aber stets um die fachliche
         begründete Beurteilung der Gefährlichkeit von Schäden und Mängeln, welche selbst im Fall von Pilz-
         fruchtkörpern und einsetzender Fäule erwiesenermaßen nicht immer zu einer Gefährdung der Stand- und
         Bruchsicherheit des Baumes führen müssen. Wenn das Gericht fordert, dass der Baumkontrolleur zumin-
         dest unverzüglich fachmännischen Rat hätte einholen müssen, so muss der Grund für ein unverzügliches
         Handeln erläutert werden. Aus der Tatsache allein, dass der Baum anschließend – und zwar offensichtlich
         auch noch durch Windeinwirkung – umgestürzt ist, lässt sich noch nicht auf eine Vorhersehbarkeit dieses
         Ereignisses bei der Baumkontrolle schließen. In der Urteilsbegründung ist zwar ständig von Schäden
         und der dadurch drohenden Gefahr die Rede, nicht aber von dem im vorliegenden Fall tatsächlichen
         Ausmaß der Schäden und der Vorhersehbarkeit des Versagens. Es reicht dem Gericht offensichtlich, dass
         Schäden vorlagen. In der Konsequenz müssten dann alle Bäumen mit Schäden, d. h. der überwiegen-
         de Teil aller Straßenbäume, sofort eingehend untersucht oder gesichert oder gefällt werden, um einer
         Haftung bei Unfällen zu entgehen, was die Grenzen der Zumutbarkeit sprengen würde.









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